Antje Lechleiter: Rainer Dorwarth zum Achtzigsten | |
Rainer Dorwarth hat an zahlreichen öffentlichen Gebäuden im süidwestdeutschen Raum Spuren hinterlassen. Die Liste der von ihm gestalteten Glasfenster, Reliefs, Wandmalereien und Glasmosaiken ist lang. Die „Kunst-am-Bau-Gestaltungen” repräsentieren aber nur eine Seite seines künstlerischen Werkes, denn Dorwarth hat parallel zu diesen Aufträgen stets freikünstlerisch gearbeitet. Nie hat er sich gescheut zu experimentieren, einmal erprobte Formulierungen zu überwinden, sich neuen Aufgabenstellungen zuzuwenden. Entsprechend groß und reich an Veränderungen ist das OEuvre des inzwischen 80-jährigen Künstlers. Rainer Dorwarth wurde 1924 in Welver/Westfalen geboren, und ihm wurde – wie so vielen seiner Generation – ein wichtiger Teil seiner Jugend im Zweiten Weltkrieg geraubt. 1947 kam er aus der Gefangenschaft nach Hause, und zwei Jahre später begann er sein Kunststudium in der Vorbereitungsklasse von Rudolf Dischinger (1904-1988) an der Staadichen Akademie der bildenden Künste in Freiburg. Prägend wurde der Unterricht bei Adolf Strübe (1881-1973). Strübe gab in seiner Malerei den Bezug zum realen Motiv nie vollständig auf, doch er überführte das Gesehene - eine Figur, eine Landschaft oder ein Stilleben - in ein flirrendes Mosaik aus leuchtender Farbe. In seinen Figurendarstellungen, selbst in den kleinen Aktzeichnungen der 90er Jahre, gibt sich Dorwarth noch als einstiger Adolf-Strübe-Schüler zu erkennen. Doch nach den langen Jahren der nationalsozialistischen Diktatur und der kulturellen Isolation lockte die Kunstmetropole Paris. Bereits 1951 pilgerte Dorwarth in die französische Hauptstadt. Er besuchte für ein halbes Jahr die Pariser Akademie André Lhote und studierte in den Galerien und Museen die aktuelle, moderne Kunst. Zurüick in Freiburg schloss er 1953 sein Studium ab und bezog als freischaffender Maler ein Atelier in Littenweiler. Die kommenden fünfziger und sechziger Jahre waren von der Arbeit an Auftragswerken geprägt. Dorwarth arbeitete auch an figürlichen Kirchenfenstern, doch sein Schwerpunkt lag auf der Gestaltung von Ornamentfenstern mit ungegenständlichen Motiven. Daneben entstanden freie Arbeiten, Monotypien und Holzschnitte, die eine ähnliche, abstrakte Formensprache aufweisen. In diesen Werken bildete der Künstler seine Handschrift aus, und ihr ist er über die Jahrzehnte und über alle weiteren stilistischen Veränderungen hinweg treu geblieben. Wie der Vergleich zwischen dem unbetitelten Holzschnitt von 1963 und einem Gemälde von 1999 offenbart, entwirft der Künstler in beiden Gestaltungen eine Gegenwelt zur sichtbaren Wirklichkeit. Damals wie heute löst er sich bei der Ausführung seiner Gestaltungsidee von der klassischen Form der Raumaufteilung, arbeitet nicht mit der Fluchtpunktperspektive, sondern öffnet von der Aussenwelt unabhängige Bildräume. | Dichte Vernetzungen und kompakt strukturierte Geflechte bilden surreal-phantastische Formen, fügen sich zu gegenstandsfreien „Stilleben” zusammen. Die Masse wird in kristalline Strukturen zersplittert oder in dichte Schichtungen gepackt. Obgleich Dorwarth hier mit einem abstrakten Formenvokabular arbeitet, klingt Naturhaftes an. Vegetabile Komponenten lassen die Wachstumsbewegung und die dynamische Kraft der Natur erahnen. In diesen freien Gestaltungen finder der Künstler Metaphern fur Naturerscheinungen, und er verwandelt sie in poetische Gebilde - Rainer Dorwarth wird damit selbst zum Schöpfer einer neuen Welt im Bild. Es führt allerdings keine ununterbrochene Linie von diesen Holzschnitten der frühen 60er Jahre zum aktuellen Werk. Zwischen dem Früh- und dem Spätwerk liegt eine Phase, in der sich der Stil des Künsders vorübergehend sehr stark änderte. Ab dem Ende der 70er und bis in die frühen 80er Jahre hinein, entstanden fast ausschließlich feine Pinsel- und Federzeichnungen. Dorwarth zeigt hier Muschein und Schnecken, die sich zu merkwürdigen Stilleben oder surrealen Landschaften zusammenfinden. In jener Zeit betrieb der Künstler ein akribisches Naturstudium und brachte für die Erfassung dieser gegen- ständlichen Wirklichkeit eine erstaunliche Geduld auf. Sicherlich war dieser stilistische Wandel auch Ausdruck einer tiefgreifenden, materiellen Unsicherheit. Dorwarth hatte jahrzehntelang einen Großteil seines Einkommens mit Kunst-am-Bau-Projekten erwirtschaftet. In den späten 70er Jahren brach diese Einnahmequelle langsam weg, und es scheint, als habe Dorwarth vorübergehend Halt in der Welt des Benennbaren gesucht. Doch lange konnte ihn die sichtbare Wirklichkeit nicht fessein, und über die Gattung „Stilleben” fand er schließlich den Weg zurück in die Abstraktion. Zu Beginn der 80er Jahre rückten Gläser und Früchte wieder mehr und mehr in den Hintergrund, und das „Stilleben mit Gefäßen” aus dem Jahr 1981 zeigt sehr schön, wie die Bildfläche für den erneuten Auftritt des Abstrakten frei geräumt wird. In diesem Gemälde dominiert bereits ein nahezu gegenstandsloser, rein aus der Struktur heraus gestalteter Grund, der nur noch aus der Ferne an einen Strand oder an eine Dünenlandschaft erinnert. So war es nur noch eine Frage der Zeit, bis Dorwarth wieder vollständig zu seinen formatfüllenden, kristallinen Strukturen zurückfand. In der zweiten Halfte der 80er Jahre wurde dieser Schritt vollzogen, und in dem unbetitelten Gemälde von 1988 griff er auf die künstlerische Basis seines Werkes zurück: In diesem kühlen, blauen Bild wird die sichtbare Wirklichkeit zu gletscherartigen, zersplitterten und netzarrig ausgespannten Flächen reduziert, und Dorwarth bekennt sich erneut zu einer anderen - phantastischen und dabei unglaublich sinnlichen - Form von Realitat. Seine großformatigen Holzschnitte aus dem Jahr 2004 offenbaren, dass sich Rainer Dorwarth seither und bis ins Jahr seines 80. Geburtstages treu geblieben ist. Katalogtext zur Ausstellung im Morat Institut, Freiburg, im Juli 2004 |